684 | TVS 13/21

Wir sollten uns alle mental darauf einstellen, dass die nächsten Wochen noch einmal sehr hart werden könnten. Vor allem aber sehr wirr. Die Pandemie ist längst nicht besiegt, global gesehen sogar weit davon entfernt, dennoch sinken vorerst glücklicherweise die berüchtigten nationalen Inzidenz-Werte, die Sonne scheint wieder ohne Maske, und Hier und Da wird das Eine oder Andere irgendwie zumindest draußen halbwegs geöffnet. Es wird so zügig geimpft, wie die schneckschnelle deutsche ÜberBürokratie es zulässt, die generelle Lage entspannt sich behutsam und die Menschen haben selbst bei aller Vernunft und Vorsicht so ganz generell langsam einfach mal die Schnauze voll, von was auch immer genau, eigentlich aber von allem.

Für die nahe Zukunft bedeutet das für uns eine Phase der großen Unsicherheit. Ist Corona jetzt eigentlich schon vorbei, fast vorbei, nur kurz Zigaretten holen, in Vorbereitung auf die vierte Welle, strategisch noch unentschieden oder eh bloß erfunden? Auf welchem Weg erfahren wir, was wir eigentlich gerade wo, wie und warum dürfen oder doch noch nicht oder ab wieviel Uhr bzw bis wann? Auch wenn die Grundsituation derzeit einen verhaltenen Optimismus erlaubt, so zeigt sich doch zunehmend eine landesweite Verwirrung über die aktuellen Lockerungs-Regeln, die selbst das flächendeckende Unverständnis bezüglich der einstmals so zahlreichen wie konfusen Lockdown-Regeln übersteigt.

Dazu kommt der drohende Gegenwind gewisser Naturgewalten, denen sich selbst eine weltweit organisierte Epidemie besser nicht entgegenstellen sollte, so wie Sommerurlaub, Wahlkampf, Grillsaison und die Europameisterschaft. Wir dürften uns einig sein, dass man die (zahlenmäßig wahrscheinlich überschaubaren) Spiele der deutschen Mannschaft nur in größeren, meinungstechnisch gleichgeschalteten Gruppen anschauen kann, meines Wissens ist das sogar gesetzlich so vorgeschrieben. Mit wieviel Abstand und welcher Spuck-Intensität darf ich aber SCHLAAAAND in das Gesicht meines Sitznachbarn grölen? Gibt es zertifizierte FFP2-Masken in Schwarz-Rot-Gold? Müssen Wimpel, Fan-Federboas und Deppen-Hüte gesondert desinfiziert werden oder reicht der individuelle medizinisch zugeführte Alkohol? Sollte die Nationalmannschaft die Vorrunde nicht überstehen, müssen wir dann alle zurück in den Lockdown?

Und weitergedacht: Wie sollen CDU und SPD zu alter Stärke zurückfinden, wenn sie im Herbst in der Fußgängerzone keine Kugelschreiber und Fähnchen verteilen dürfen? Was sehen die Regeln bezüglich Beendigung des Home Office vor, wenn man sich bei Netflix gerade irgendwo mitten in der Staffel befindet? Sind wir ohne konkret unverständliche, täglich wechselnde Corona-Beschränkungen eigentlich noch lebensfähig? Vielleicht bleib ich doch besser einfach noch ein paar Monate zuhause, diese ganze wilde Freiheit ist mir inzwischen einfach zu unsicher!  

Liebes-Turbo

Gute Nachricht: es darf wieder verkuppelt werden! Und RTL2 stellt im Bereich des medialen Knatter-Couplings den Love-Booster jetzt sogar mit Bleifuß auf Vollgas! Gleich 80 Folgen wurden vom holländischen Verkupplungs-Hit LET LOVE RULE für den Anfang bestellt, in dem Jana Ina Zarrelli täglich jeweils drei frisch gewürfelte Paare 24 Stunden inklusive Nacht in eine Knuddelhütte sperrt und danach abfragt, ob’s geschnackelt hat oder nicht. Läuft schneller als beim Impfen – bei der Geschwindigkeit sollten in Deutschland jedenfalls rein rechnerisch schon bald keine Singles mehr auf dem Markt sein!

Öffentlich-Sexlich

Auch wenn die Öffentlich-Rechtlichen und ihre Stammzuschauer häufig als brav und bieder gelten, am Ende gilt auch hier wie überall ‚Sex sells‘! Die Pilotfolge von OHJAAA! – SEX LIEBEN, der erotisch-informativen WDR-Doku rund um das erfolgreiche Kopulieren und Onanieren, war dieses Jahr jedenfalls die meist genutzte Reportage in der ARD-Mediathek. Deshalb folgen noch mehr Folgen plus Podcast, in dem Annabell Neuhof und Yared Dibaba über ihre intimsten und intensivsten DingDong-Erfahrungen sprechen und für ihr Publikum alles ausprobieren, damit niemand mehr selbst die Zeit mit sinnlosem Gebumse verschwenden muss.

Vorführ-Fernsehen

Wenn erst ein Malle-Sänger wie Ikke Hüfgold aka Matthias Distel nötig ist, um das deutsche Reality-TV mal wieder an seine kümmerlichen moralischen Restwerte zu erinnern, ist dies so lobenswert für ihn wie auch traurig für uns. So geschehen beim SAT1 Emotion-Exploitation-Familientausch-Format  PLÖTZLICH ARM, PLÖTZLICH REICH, wo er diverse eklatante Produktions-Versäumnisse um den Dreh mit vermeintlich schwer traumatisierten Kindern beklagte, öffentlich machte und die Aufzeichnung abbrach. Die Firma IMAGO TV bestreitet dies selbstverständlich, aber ein einfacher Blick in diese Art der Programme reicht, um die Produktions-Realität zu erahnen. Bleibt zu hoffen, dass mehr Beteiligte in Zukunft öfter den Mut fassen, einfach mal Haltung zu zeigen und nicht jede Manipulation mitzumachen. Gut so!