Es gibt so vieles, wofür wir dem Internet dankbar sein müssen. Wir können darüber Essen und Schuhe bestellen, uns informieren, intellektuell austauschen, anonym bepöbeln oder kostenlos Filme sehen, für die man früher im Hotel teures Pay-TV bezahlen musste. Oft wird allerdings vergessen, dass es auch als individuelles Jobcenter und gigantische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nicht mehr wegzudenken ist. Denn wer ganz generell gar nichts kann und über keinerlei sinnvolle Fähigkeiten für die Menschheit oder den Arbeitsmarkt verfügt, aber dennoch unverschämt viel Geld verdienen und irgendeine Art Beachtung erfahren möchte, hatte vor dreißig Jahren höchstens Karriere-Chancen als Lokalpolitiker oder heimischer Dorftrottel. Heute aber kann absolut jeder ohne amtliche Erlaubnis via TikTok, YouTube-Channel oder Instagram-Profil sein eigenes Medium werden und dort das persönliche Nichts in künstlerischer Form zum Ausdruck bringen. Klar, auf allen Plattformen gibt es selbstverständlich ebenso die Möglichkeit zu echter Kreativität und interessantem Inhalt, aber das interessiert höchstens ein Nischenpublikum. Wer allerdings bereit ist, sich hochgradig lächerlich zu machen, skrupellos Kaufanreize zu verwalten, hanebüchenen Schwachsinn zu schwurbeln oder ganz einfach stumpf dem eigenen Narzissmus zu frönen, hat durchaus Chancen auf eine niedere Form vorgetäuschter Bedeutsamkeit, stattliche Werbegelder und Hoffnung auf späteren Einzug in ein zwielichtiges Peinlich-Promi-Format.

‚Influencer‘ gilt inzwischen als semi-seriöse Berufsbezeichnung, wobei es sich bei den meisten Ausübenden lediglich um austauschbare, Fake-Fröhlichkeit vermittelnde Konsum-Animateure handelt, die als vorgetäuschter vermeintlicher Freund Produkte präsentieren wie einst der knarzige Fischstäbchenwämser Käpt’n Iglo, die spießige Bohnenkaffee-Ikone Frau Sommer oder Versicherungs-Schmierlappen Herr Kaiser. Da aber ‚Werbehackfresse‘ nicht so gut klang und ‚Systemnutte‘ bereits anderweitig belegt war, einigte man sich halt auf die englische Version des auf Deutsch eher unangenehm klingenden ‚Beeinflussers‘.

Als nächstes im www-Berufsbezeichnungs-Kanon sollen die momentan sehr populären ‚Verschwörungstheoretiker‘ aufgenommen werden. Professionelle Viral-Marketing-Experten stellen derzeit zusammen, welche Produkte aus dem Luxury/Beauty/Weaponry-Segment sich besonders gut mit Themengebieten wie Scheibenerde, zionistische Reptiloid-Eliten, Kinderblut-Trinker, Zwangsverchippung oder Menschheits-Versklavung verbinden lassen. Carsten Maschmeyer hat bereits Interesse als Start-Up-Investor angeboten, damit das Ganze nicht zu unseriös wird, und Attila Hildmann hat angekündigt, die männliche Katja Krasavice für Querdenker zu werden und in der nächsten Staffel nackt im Promi Big Brother-Haus vegane Hirnsuppe zu kochen. Für Klicks tun die meisten Menschen nun mal fast alles!

Fremdverlockung

Eine der moralisch widerwärtigsten Couple-Kotz-Verführungs-Formate der letzten Jahre ist unzweideutig TEMPTATION ISLAND, wo man auf RTL zwei Wochen lang scheinbar glückliche Paare voneinander trennt, um diese dann auf separierten Sex-Inseln mit semi-professionellen Lockmittel-DarstellerInnen vor Kameras zum Fremdgehen zu animieren, um mögliche Erfolge dann tränenreich schäbig dem zukünftigen Ex-Partner vorzuführen. Schamlos verlogen und herzerfrischend bösartig – also besagt das Gesetz der Serie: als nächstes mit Promis! Was im SOMMERHAUS DER STARS nicht gelungen ist, sollte im Orgienrausch unter Palmen doch hoffentlich etwas besser funktionieren!

Schleimüberzug

Gratulatione Giovanni Zarrella! Der gefällig-glitschglatte Ex-Bro’Sis-Smiley mit dem gewinnenden Lächeln eines italienischen Eisverkäufers, der den Kindern alleinerziehender Mütter gern zwinkernd eine Extrakugel Stracciatella in die Waffel drückt, war bislang meist nur mit Gattin Jana Ina als Doku-Soaper in privaten Reality-Formaten oder als Präsentator peinlicher RTLzwei-Formate unauffällig geworden. Nun aber ist er langsam alt und abgeklärt genug, als eine Art Italian Silbereisen auch das schmachtende ZDF-Publikum mit seinem O-Sole-Mio-Charme bezaubern zu dürfen. Geplant sind erstmal drei Jahre mit jeder Menge Schlager-Shows und Vorabend-Formate! Grazie mille per niente!

Ausgesucht

Eigentlich wollte RTLzwei dieses Jahr nach angenehm langer Pause wieder einmal eine Horde kopulationswilliger Körperwelten mit Kleiderverbot auf eine Kamera-überwachte Reality-Rammelinsel zum quotenwirksamen Nackt-Dating schicken. Jetzt aber wurde das unerbetene ADAM SUCHT EVA-Revival aus Pandemie-Gründen vorerst auf 2021 verschoben, da man keinem Zuschauer ein sinnfreies FKK-FickiFicki-Format mit Sackschutz, Kimmen-Maulkorb und Möpse-Masken zumuten wolle. Auch wenn manch interessierte Voyeurs-Augen jetzt weinen, unser Verstand darf noch einmal durchatmen! Danke, Corona.