673 | TVS 02/21

Zum Jahresbeginn eine bekannte Erkenntnis: unser Leben nach Corona wird nie mehr so sein wie vorher! Schon allein, weil wir durch die mannigfachen Beschränkungen gezwungen wurden, vieles das uns bislang alltäglich, lebensnotwendig oder unverzichtbar erschien, ganz neu zu bewerten. Gesellige Abende mit Freunden, ekstatisches Club-Dancing, Fernreisen, Wellness mit und ohne Anfassen, Gruppenhusten im Hypochonder-Gesprächskreis, Kino und Theater, Puffbesuche, professioneller Apres-Skisport, Weihnachts-Wettessen mit der ungeliebten Großfamilie, Lümmelziehen in der Gemischten Sauna, Polonäse Blankenese, Eimersaufen am Ballermann, Rudelbums im Reihenhaus, Arbeiten gehen, etc. – all dies vormals harmlose Treiben galt irgendwann von offizieller Seite plötzlich als nicht mehr zulässig. Doch was soll ich sagen? Wir leben trotzdem noch! Außer natürlich diejenigen, die aus ganz anderen Gründen inzwischen verstorben sind. Aber auch wenn wir zahlreiche unserer lieb gewonnenen Gewohnheiten temporär ablegen mussten, so erwies sich durch den Verzicht auch vieles – im Nachhinein betrachtet – als für das eigene Leben im Grunde nur marginal systemrelevant, wenn nicht gar komplett überflüssig. Was von alldem brauchen wir eigentlich wirklich, um zufrieden zu sein?

Die gleiche Sinnfrage stellt sich auch in Bezug auf die virtuelle Welt. Wozu beispielsweise noch irgendwelche verlogenen Fake-Smile- Werbebotschaften gephotoshopter Internet-InfluencerInnen liken, wenn man die daraus resultierenden Renovierungsarbeiten eh nicht mehr in der Öffentlichkeit präsentieren kann? In der Videokonferenz sieht nun mal selbst die perfekteste Barbie-Kunstvisage nur aus wie ein sprechender Eimer Mett mit Haaren. Und brauchen wir im Fernsehen weiterhin immer mehr kaum unterscheidbare Daily-Soaps, Pisspromi-Challenges und Scripted Reality-Brainfucks, die uns beweisen wie niederträchtig und erbärmlich die menschliche Existenz sein kann? Oder bedürfen wir der medialen Demütigung anderer, um das eigene Elend besser verkraften zu können? Sind tatsächlich derart viele öffentlich-rechtliche Regionalprogramme nötig, die uns ganztägig zeigen, wie wunderschön die jeweilige Heimat da draußen doch wäre, wenn man einfach mal vor die Tür ginge, anstatt sich mit dem Arsch auf dem Sofa der einlullenden Eigenlob-Hypnose hinzugeben? Benötigen die mental orientierungslosen Zuschauerherden wirklich all diese sich stetig selbst reproduzierenden Programm-Sedativa und bewusstseinsbetäubenden Banalitäts-Blendgranaten für ihr individuelles Wohlbefinden – oder vielleicht doch lieber etwas mehr Mut zur kreativen Veränderung? Müssen Sender jeden Billig-Ramsch senden, nur weil sie es halt können – oder sollten sie sich wieder mal darauf besinnen, was sie eigentlich senden wollen? Wenn wir eh gerade unsere Leben entrümpeln, sollten wir uns ruhig fragen: was von dem ganzen Medien-Trödel brauchen wir eigentlich noch? Aber Vorsicht bei der Entsorgung – bitte alles direkt in die Schrottpresse, auf keinen Fall zum Recycling-Hof – sonst werden wir den Müll nie los!

Revival-Revival

Vor knapp 20 Jahren feierte RTL große Erfolge mit DIE 80er SHOW, in der die Zeit von vor knapp 20 Jahren gefeiert wurde. Und da die Älteren von damals sich wahrscheinlich nicht mehr daran erinnern können und die Jüngeren inzwischen die Älteren sind, kann man das ja ruhig einfach ganz genauso noch mal machen – aber dabei so tun als wäre das alles neu! Natürlich wieder mit Olli Geißen und Becker-Boris, Pooth-Verona, etc als exakt gleiche Promi-Gäste, denn andere gibt es ja nicht. Coole Idee, damit hat RTL ein ganz neues Genre erfunden: die Revival-Show-Revival-Show! Freu mich jetzt schon auf die Revival-Show-Revival-Revival-Show!

Schlager-Vollversorgung

Wer sagt denn, es gäbe kein anspruchsvolles Fernsehen mehr? Seit Juli schon sendet SCHLAGER DELUXE via Satellit irgendwo im Free TV fünf Stunden pro Tag pfiffig-flotte Schlagervideos in Endlosschleife. Und weil das so megaknorke ankommt, dreht man dort das Mitklatsch-o-meter jetzt auf Stufe 11 und sendet als duftes Vollprogramm von nun an rund um die Uhr! Genau das hat im deutschen TV noch gefehlt. Hoffe nur, sie spielen auch mal was von Helene Fischer, den Amigos und anderen jungen Nachwuchskünstlern!

Dauer-Beneblung

Gute Nachrichten für alle Freunde launig-lauwarmer Einlullungs-Unterhaltung: auch wenn das fetzig-altmodische Entertainment-Highlight WILLKOMMEN BEI CARMEN NEBEL jetzt wegen Altersschwäche endgültig eingeschläfert wird, so bleibt ebenselbige Fog-Lady dem betagten Fan-Zirkel des ZDF noch bis mindestens 2023 erhalten und wird jährlich zwei Weihnachts-Shows plus andere Unterhaltungs-Knallbonbons deluxe produzieren. Gottseidank, ich hatte schon Angst, man müsse stattdessen im Zweiten irgendwelche neuen Gesichter oder frische Ideen ertragen – da hätte das Publikum glatt unerwünscht aufwachen können!