688 | TVS 17/21

Die Corona-Pandemie hat unsere bis dato gelebte Normalität auf nie zuvor gefühlte Weise weltweit auf den Kopf gestellt, das wissen wir alle. Aber wohl niemand hätte jemals gewagt zu glauben, dass selbst eine altehrwürdige Institution wie das Fernsehen plötzlich gezwungen sein könnte, eine seiner unverrückbaren Säulen zu zertrümmern und das zuvor Unaussprechliche zuzulassen: Live-Shows ohne Publikum! Ein Horror-Szenario, das seit Bestehen des Mediums als indiskutabel und undenkbar galt. Wie bitte schön sollte das hoch geschätzte, aber im Grunde ja doch bloß nur tumb vor sich hin sabbernde Sofa-Glotzvieh daheim wissen, wann es ekstatisch lachen, sich freuen oder mentalen Beifall spenden sollte? Wie hätte man ihm die vielen Jahrzehnte lang all die freudlosen Fließband-Darbietungen und inhaltsleeren Showmaster-Labereien ohne ein unreflektiert mitklatschendes Live-Publikum in hypnotischer Massenhysterie als grandiose Premium-Unterhaltung verkaufen sollen?

Egal – auf einen Schlag war all dies wundervolle Blendwerk vorbei! Covid19 zwang die Täuschung in die Knie. Abrupt mussten sämtliche bislang durch Lebendkulisse zwangseuphorisierten TV-Events vollkommen unvorbereitet mit reinem Inhalt überzeugen. Und wer das Fernsehen kennt, der weiß wie grausam und schier unmöglich diese Forderung ist – vergleichbar mit dem Versuch, einem Blinden einen Furz als Regenbogen zu verkaufen. Dennoch wurde es wahr. Doch überraschenderweise zeigten diverse Formate, dass die fehlenden Geräusch-Spender sich durchaus eher als Stärke denn als Schwäche erweisen würden: zahlreiche Talk-Shows wurden unvermittelt zu echten Gesprächsrunden, weil nicht durchgehend um populistischen Applaus gebuhlt werden musste, Satire-Sendungen durften am Endgerät nach eigenem Humor-Empfinden individuell belacht werden und unerträgliche Volksmusikfeste dauerten ohne hemmungslose Dauerklatsch-Orgien wenigstens nur noch halb so lange.

Stellt sich die Frage: brauchen wir denn überhaupt noch echtes Publikum? Oder reichen nicht notfalls auch ein Keyboard voll Applaus-Samples und ein paar lebensgroße Foto-Aufsteller, bei denen ein Praktikant ab und zu mal von hinten gegen die Pappe tritt?

Und in letzter Konsequenz weitergedacht: wozu benötigen wir die Zuschauer zuhause eigentlich noch? Nur um bei Twitter wieder zu meckern, dass doch eh alles scheiße ist? Ist den meisten Machern doch eh schon immer wurscht gewesen, wer den Bums guckt und ob der Murks irgendwem gefällt, Hauptsache die Quote stimmt. Aber da die ohnehin bloß ein hoch gerechneter Schätzwert ist, kann man sie ja auch durch Würfeln ermitteln. Mein Vorschlag: wir verzichten in Zukunft komplett auf diesen ganzen aufgesetzten Audience-Fake, die Sender bringen einfach was sie wollen oder Werbung rund um die Uhr, aber wir müssen auch nicht mehr zusehen und uns aufregen. Klassischer Fall von Win-Win!

Alte Liebe

Es herrscht nicht gerade ein eklatanter Mangel an Couple-Kuppel-Shows im deutschen TV, aber Pro7 hat trotzdem noch eine neue auf der Pfanne: LOVE IS KING! Altmodisches Dating wie Anfang des 19. Jahrhunderts, mit strengen Verhaltensregeln und klassischen Tänzen auf pompösen Bällen in glamourösen Gewändern, jedoch ohne Handy oder anderen neumodischen Krimskrams. Aber können junge Menschen von heute überhaupt ohne App miteinander kommunizieren und ohne Love-Picture-Postings eine Beziehung haben? Ein gewagtes Experiment – verrückterweise sogar nach einer selbst entwickelten Idee und nicht aus dem Ausland geklaut! Altmodischer geht’s wirklich nicht.

Neue Liebe

Verstanden: Erfolgreiche Web-Werbefressen aka Influencer sind der neue Hot Shit im Fernseh-Bereich, weil man mit ihnen die undankbare Jugend endlich wieder weg von diesen modernen Daddel-Geräten zurück zur guten alten Glotze bekommt. Zumindest in der Theorie verzweifelter TV-Redakteure. Aber nicht nur RTL2 plant mit ECHT FAME seine erste Dailysoap über diese fake-fröhlichen Konsum-Coaches, auch Amazon Prime kündigt mit SEX, ZIMMER, KÜCHE, BAD nun die erste deutsche Streamingserie über eine bumsfröhliche Beeinflusser-WG an. Ich klick schon mal auf Entfolgen!

Kommentierte Liebe

Clevere Recycling-Idee von VOX: man nimmt mehrfach verwendbare und bereits breitenwirksam durchgenudelte Boulevard-Berichte über skurrile, ungewöhnliche oder prominente Liebespaare und zeigt sie einfach nochmal, lässt sie aber von sogenannten ‚Promis‘ (also dem altbekannt bedeutungsarmen Bodensatz der üblichen Reality-Resterampe) kommentieren. Zack, schon hat man ein neues Format und nennt den zusammengekleisterten Love-Laber-Bums DIE WUNDERVOLLE WELT DER LIEBE! Gewissermaßen eine Art gesendeter TV-Escort-Service – emotionslos und gutaussehend, aber lohnt sich!