Seit Jahren macht sich Oliver Kalkofe in seiner “Mattscheibe” über miese Formate in Deutschlands TV-Landschaft lustig, nun liest er für seine neue Sendung “Nichtgedanken” aus Promi-Autobiografien vor. Ein Gespräch über das Frauenbild von Rapper Bushido, künstlerische Freiheit im Fernsehen und Känguru-Pimmel.
www.suedeutsche.de | Donnerstag, 28.03.2013, 18:51 | Von Matthias Kohlmaier

Jetzt liest er auch noch. Ab Karfreitag geht TV-Kritiker Oliver Kalkofe bei Tele 5 mit “Nichtgedanken” auf Sendung. Dort will er, so heißt es wenigstens in der Pressemitteilung, die Zuschauer “mit ausgewählten Juwelen lyrischer Dichtkunst moderner Alltags-Philosophen in den Schlaf geleiten”. Besagte “Philosophen” sind in Folge eins unter anderem: Daniela Katzenberger, Bushido und Gina Wild. Parallel dazu lässt sich Kalkofe weiterhin in seiner “Mattscheibe” über die Fragwürdigkeiten des Fernsehalltags aus.

SZ.de Herr Kalkofe, nachdem Sie nun ein erfahrener Leser von Promi-Büchern sind: Warum stand die Autobiografie von Daniela Katzenberger auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste?
Oliver Kalkofe Das ist wirklich eine gute Frage, aber leider kann ich sie auch nicht abschließend beantworten. Bei vielen dieser Autobiografien der B- bis F-Prominenz frage ich mich vielmehr: Warum wurden diese Bücher überhaupt geschrieben und danach auch noch gedruckt?

SZ.de Vermutlich weil schon die Namen Profit garantieren. Lässt sich bei den diversen Büchern wenigstens so etwas wie ein roter Faden erkennen?
Oliver Kalkofe Was alle diese Bücher eint, ist die seltsame Geltungssucht ihrer “prominenten” Autoren. Diese Sucht nach Aufmerksamkeit spiegelt sich sonst auch gern darin wider, dass man irgendwo im Dschungel einen Känguru-Pimmel isst – alles nur, um in der Öffentlichkeit ein bisschen wahrgenommen zu werden. Es gibt nun wirklich Schauspieler, die viel erlebt haben, Menschen, die echte Schicksale haben. Aber es gibt auch einige, die einfach nur Luft ablassen. Und glauben dann auch noch, es wäre Musik, wenn sie furzen.

SZ.de In der ersten Folge von “Nichtgedanken” lesen Sie unter anderem Texte von Bushido, Gina Wild und Carsten Maschmeyer vor. Mussten Sie diese Bücher wirklich vorher alle lesen?
Oliver Kalkofe Nein, zum Glück nicht. Soviel Lebenszeit habe ich nicht zu verschwenden. Dafür habe ich einen recht findigen Redakteur, der mir quasi die Filetstücke heraussucht, aus denen ich dann Passagen für die Sendung auswähle.

SZ.de Haben Sie nicht die Befürchtung, durch Ihre Sendung solchen Werken mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen als sie verdient haben?
Oliver Kalkofe Wir werden doch sowieso alle mit diesen Büchern konfrontiert, ob wir wollen oder nicht. Die Dinger stehen nun mal beim Buchhändler im Regal, es wird in Zeitungen darüber geschrieben und im Fernsehen darüber gesprochen. Ich glaube aber, dass es die Aufgabe von Satire ist, solche Grausamkeiten aufzugreifen. Und außerdem: Wenn man von den “Nichtgedanken” eine Folge ansieht, hat man sowieso nach fünf Minuten genug von den Büchern. Man spart also viel Geld und Zeit, die sind ja bekanntlich beide kostbar.

SZ.de Sollten Sie damit Recht haben, wird die Einschaltquote Ihrer neuen Sendung innerhalb weniger Minuten drastisch einbrechen.
Oliver Kalkofe Die Quote ist völlig egal. Ein Format wie “Nichtgedanken” soll einfach nur Spaß machen und vielleicht auch ein bisschen Aufmerksamkeit bekommen. Damit wäre ich schon zufrieden.

SZ.de Funktioniert Ihr Format ähnlich wie das offensichtliche Vorbild “Nachtgedanken” mit Hans-Joachim Kulenkampff, oder kommentieren Sie das Vorgelesene etwas ausführlicher?
Oliver Kalkofe Ich mache kein großes Brimborium, sondern lasse die Worte anderer wirken. Ich lese die Texte natürlich dementsprechend vor, versuche also, den Slang des jeweiligen Schreibers mit einfließen zu lassen. Am Anfang und am Ende kommentiere ich das Gelesene, aber nur ganz subtil. Ansonsten arbeiten wir in der Tradition von Kulis “Nachtgedanken”. Ich trage sogar eine sehr hübsche Lesebrille.

Man wird mit so viel Irrsinn zugeballert

SZ.de Ihre schlimmsten Erfahrungen bei der Lektüre der Texte für “Nichtgedanken”?
Oliver Kalkofe Teilweise lacht man einfach, zum Beispiel über die schreckliche Aufgeblasenheit bei Helmut Berger. Ex-Pornodarstellerin Gina Wild erzählt mit einer unfassbaren kindlichen Naivität vom Ficken, Bumsen und Blasen – da war ich mir dann schon nicht mehr sicher, ob ich noch lachen oder schon weinen sollte. Und dann hat man so jemanden wie Carsten Maschmeyer: Das is t einfach Geschwätz, da jagt eine Plattitüde die nächste. Ich lese von ihm ein Kapitel darüber vor, nach welchen Kriterien er sich Krawatte und Hemd heraussucht. Das ist Küchenpsychologie der albernsten Art.

SZ.de Wie hat Ihnen das Werk von Integrations-Bambi-Preisträger Bushido gefallen?
Oliver Kalkofe Da musste ich wirklich schlucken und weiß eigentlich bis heute nicht genau, was man damit machen sollte. Wenn man so etwas liest, müsste man eigentlich den Verantwortlichen sämtliche jemals verliehenen Bambis rektal einführen – und zwar quer. Das Buch beschreibt zum Beispiel, wie man sich das eigene Drogengeschäft aufbaut und ein rücksichtsloses Arschloch wird. Und was das Frauenbild angeht, ist es so widerwärtig, dass es ehrlich kaum lesbar war. Nach der Lektüre hatte ich nur noch das Bedürfnis, mir den Mund mit Seife auszuwaschen und eine halbe Stunde sehr heiß zu duschen.

SZ.de Welches Publikum möchten Sie mit “Nichtgedanken” erreichen?
Oliver Kalkofe Ich hoffe natürlich, dass sich ganz unterschiedliche Menschen die Sendung ansehen. Für junge Leute ist es interessant, weil viele von ihnen die Verlogenheit im Medienbusiness noch gar nicht richtig mitbekommen haben. Da könnte “Nichtgedanken” helfen. Für alle anderen soll es einfach ein nettes Betthupferl sein. Ein kleines, ein bisschen bescheuertes Format, wie es in der heutigen TV-Landschaft beinahe ausgestorben ist. Schon alleine deshalb finde ich es cool, das Tele 5 mir sowas erlaubt.

SZ.de Ist dieser Hang zu “bescheuerten Formaten” der Grund, weshalb Sie bereits vor einem halben Jahr mit “Kalkofes Mattscheibe – Rekalked” bei Tele 5 gelandet sind?
Oliver Kalkofe Das war der einzige Sender, der mir die Möglichkeit geboten hat, die “Mattscheibe” weiterzumachen. Ich war mit diversen Sendern über Jahre im Gespräch, am Ende hieß es immer, dass es aus irgendeinem Grund nicht klappt. Da wurden aus Angst Rückzieher gemacht – und auch das nur halbherzig. “Wir sprechen nächstes Jahr wieder, dann ist bestimmt mehr Geld da”, habe ich mehr als nur einmal gehört. Tele 5 mag ein Sender mit bescheidenen finanziellen Mitteln sein, aber die haben wenigstens Mut und schauen nicht nur auf die Quote. So eine Freiheit habe ich seit Premiere-Zeiten nicht mehr erlebt, wo das mit der “Mattscheibe” in den Neunzigern mal angefangen hat.

SZ.de Auch nicht bei ProSieben, wo “Kalkofes Mattscheibe” zwischenzeitlich lief?
Oliver Kalkofe Da schon gar nicht. Bei ProSieben waren die Verantwortlichen zu Beginn noch recht locker, aber als dann das ein oder andere Programm einbrach, ging es auch dort nur noch um die nackten Zahlen. Die “Mattscheibe” ist zwar immer gut gelaufen, kostete aber eben auch ein bisschen Geld. Und das war bei ProSieben irgendwann niemand mehr bereit, auszugeben.

SZ.de Einen Großteil der Zeit verbringen Sie damit, für “Kalkofes Mattscheibe” schlechtes Fernsehen anzuschauen und für “Nichtgedanken” schlechte Bücher zu lesen. Macht Ihnen der Job wirklich Spaß?
Oliver Kalkofe Gerade bin ich tatsächlich in einer Phase, wo mich Teile meiner Arbeit richtig nerven. Aber das passiert, wenn man den Job seit 20 Jahren macht. Man wird mit so viel Irrsinn zugeballert und möchte irgendwann nur noch laut schreien und vom Balkon springen. Es kommt die Einsicht: Man kann arbeiten, so viel man will – das Fernsehen wird trotzdem nicht besser und alles wiederholt sich immer wieder. Deshalb ist es so wahnsinnig wichtig, zwischendurch Pausen einzulegen und sich von dem ganzen Kram zu erholen. Was mich betrifft, befürchte ich trotzdem Langzeitschäden.