Bei den Privaten alles voller Scripted Reality und Pseudo-Dokus, bei den Öffentlich-Rechtlichen „trutschige Omihaftigkeit“: Oliver Kalkofe ist Berufs-Fernseher – und als solcher entsetzt. Im FOCUS-Online-Interview echauffiert er sich über Dummheit, Perversion und Widerwärtigkeit im TV.

29.08.2013 | www.focus.de | Von Sandra Zistl | Foto: dpa / Britta Pedersen |

Aktuell leiht er dem Animationsfilm „Planes“ seine Stimme für das liebenswürdige sprechende Flugzeug Franz Fliegenhosen. Doch bekannt ist Oliver Kalkofe dafür, sich im Fernsehen über das Fernsehen aufzuregen. Seinem Frust über das Medium, dem der Durchschnittsdeutsche vier Stunden täglich widmet, macht er regelmäßig bei „Kalkofes Mattscheibe Luft“. Sein Haus-Sender Tele 5 strahlt aktuell auch „Die schlechtesten Filme aller Zeiten“ aus: Eine Sendung, in der Kalkofe gemeinsam mit Peter Rütten („Rüttens Bullshit Universum“) den, wie es Tele 5 selbst nennt, „schönsten Schund des Senders“ feiert.

FOCUS Online hat den Mann, der im Fernsehen wie ein Berserker wütet, am Flughafen München zum Interview getroffen. Dabei sollte es eigentlich um den Animationsfilm „Planes“ gehen, der am Donnerstag in den Kinos anläuft. Doch es kam anders.

FOCUS Online: Herr Kalkofe, erleben Sie in gerade eine besonders ausgeglichene Phase?

Oliver Kalkofe: Ja, das stimmt sogar. Aber wie kommen Sie darauf?

FOCUS Online: Sie haben mit PLANES einem putzigen Animationsfilm Ihre Stimme geliehen. Sonst hauen Sie lieber verbal auf den Tisch.

Kalkofe: Synchronrollen nebenher zu machen, ist für mich immer eine wunderschöne Geschichte und eine tolle Erholung; quasi ein Geschenk. Ich komme ja vom Radio und dort habe ich angefangen, Charaktere nur mit der Stimme darzustellen. Außerdem bin ich selbst ein Fan von Animations-Filmen. Es ist sehr entspannt, wenn man bei einer tollen Geschichte mitarbeiten darf, bei der man nicht alles selber machen muss. Bei meinen eigenen Sachen bin ich nicht wirklich ruhiger geworden.

FOCUS Online: So, wie Sie hier sitzen, wirken Sie sehr umgänglich. Lassen Sie den Zyniker nur fürs Fernsehen raus?

Kalkofe: Privat bin ich auch sonst relativ umgänglich. Glücklicherweise kann ich meine Sendung „Kalkofes Mattscheibe“ auf Tele 5 wieder machen, das hilft mir dabei, ausgeglichener zu sein. Ich kann dort Druck ablassen. Wenn ich keine Sendung hätte und öffentlich nichts sagen dürfte, dann würde ich mich privat viel mehr darüber aufregen, welch unfassbarer Schwachsinn uns permanent vorgesetzt wird. Wir werden alle vom Fernsehen verarscht! Aber ich bin froh, dass ich laut sagen darf, was mir auf den Sack geht. Und wenn ich mich darüber lustig machen und andere dadurch zum Lachen bringen kann, ist das für mich und viele Zuschauer eine Art Medizin. Humor habe ich schon immer dazu verwendet, um mit meiner Frustration oder mit dem Wahnsinn, den ich nicht verstehen konnte, besser umgehen zu können.

FOCUS Online: Was war zuerst da? Der Frust und die Not, ihn loszuwerden, oder das Angebot, in einer Sendung eine Plattform dafür zu bekommen?

Kalkofe: Inzwischen schaue ich ja fast nur noch beruflich fern. Früher war das anders. Ich komme nicht aus einer Familie, in der nur gelesen und das Fernsehen verbannt wurde. Ich bin tatsächlich damit aufgewachsen. Anfangs gab es nur zwei Programme. Zweieinhalb, denn wir haben in Hannover noch die DDR-Programme reinbekommen. Alles, was mit Unterhaltung zu tun hatte, war sehr streng limitiert. Es kam ein Krimi pro Woche und nur ein oder zwei Shows. Deshalb habe ich alles, was auch nur halbwegs den Eindruck von Unterhaltung erweckte, gierig aufgesogen. Ich habe das Fernsehen wirklich immer sehr geliebt. Das war wie ein guter Freund, denn man hatte nun mal nicht wirklich viel Abwechslung damals.

FOCUS Online: Was haben Sie geschaut?

Kalkofe: Alles, egal ob „Bonanza“ oder „ Raumschiff Enterprise“ – das alles waren Abenteuer und Figuren, die anders waren als die Realität um einen herum; eine Flucht in eine vielleicht schönere Welt. Als Kind habe ich Fernsehen geschaut, weil ich dachte, in diese Welten fliehen zu wollen. In den letzten Jahren hat sich das Medium aber so geändert, dass es einen Fluchtreflex bei mir erzeugt.

FOCUS Online: Was stört Sie?

Kalkofe: Inzwischen zeigen uns die Sender eine Welt, die wir alle nicht erleben wollen. Sie ist voll von „Scripted Realitys“ und Pseudo-Dokus mit unsympathischen Leuten, die man nicht kennenlernen möchte. Man wird mit idiotischen Geschichten zugeballert, die absolut nichts mit der Realität zu tun haben. Dabei werden Menschen vorgeführt und es wird uns nur Dummheit, Perversion und Widerwärtigkeit präsentiert. Das ist menschenverachtend und ekelhaft! Man schaut sich das an und denkt: Um Gottes Willen. Okay, mir geht es vielleicht auch nicht gut, aber immer noch besser als den Asis dort! Diese furchtbaren Menschen möchte ich nie im Leben kennenlernen! Das ist komplett verschieden zu dem Fernsehen wie es früher war. Damals war das Fernsehen ein Medium zu dem man hin flüchtete, heute rennt man davor weg. Diese Veränderung tut mir auch ein bisschen weh.

FOCUS Online: Sie haben gesagt, das Fernsehen sei ein guter Freund gewesen. Wer ist denn Ihr Hauptfeind momentan?

Kalkofe: Alles aus diesem Bereich Scripted Reality und Pseudo-Dokus. Alles immer der gleiche austauschbare Scheißhaufen, für den sich die Redakteure nur neue Namen ausdenken. Egal ob Verdachtsfälle, Betrugsfälle, Durchfälle, Familien in Brennpunkten, Mitten im Leben, Pures Leben – alles der exakt gleiche Müll! Niemand will das wirklich sehen, es gibt nur nichts anderes mehr. Jede noch so schlechte Serie früher wurde wenigstens noch von Menschen gemacht, die unterhalten und etwas erzählen wollten, auch wenn es nicht immer gut klappte. Da steckte immerhin eine Idee dahinter. Heute holt man sich Leute von der Straße, die verhaltensauffällig sind oder besonders seltsam aussehen. Die müssen dann einen gestörten Vollidioten spielen und es wird zusätzlich auch noch zu Hause bei ihnen gedreht, wofür sie 50 Euro in die Hand gedrückt bekommen. Das kostet den Sender fast nichts und die Redakteure lachen darüber kaputt, dass die das mitmachen und dass die Zuschauer so doof sind, das dann auch noch zu gucken. Keiner von denen würde sich das eigene Produkt freiwillig anschauen. Da ist kein Herz dabei, keine Liebe, kein Spaß und kein Respekt dem Publikum gegenüber.

FOCUS Online: Aber Quote bringt es.

Kalkofe: Weil es nichts anderes gibt. Wenn man am Nachmittag fernsieht, laufen auf allen Privatkanälen fast ausschließlich diese Sendungen. Die Öffentlich-Rechtlichen setzen auch nichts Vernünftiges dagegen und haben nur diverse Kochsendungen, Boulevard-Kaffeeklatsch-Magazine und Telenovelas in Endlosschleife. Die Masse ist nun mal darauf angewiesen, den Fernseher anzumachen und das zu schauen, was dort gerade läuft. Deshalb wird es auch immer irgendjemand schauen. Und so lange die Produktion so billig ist, machen die Sender damit kurzfristig selbst bei schwacher Quote ein Plus und deswegen wird es auch weiterhin gemacht.

FOCUS Online: Ausnahmslos?

Kalkofe: Der einzige öffentlich-rechtliche Sender, den ich positiv herausheben möchte, ist ZDFneo. Da denke ich nur immer, dass die genau das bringen, was eigentlich im Hauptprogramm laufen müsste. Warum kommt so etwas wie „Mad Men“ oder „Breaking Bad“ nicht beim ZDF oder in der ARD zur besten Sendezeit? Denn das ist qualitativ hochwertiges, intelligentes, großartiges Fernsehen, was die Qualität von großer Literatur hat. Stattdessen kommt 17 Jahre lang „Unser Charly“ und eine Telenovela nach der anderen. Wir bezahlen dafür Gebühren.

FOCUS Online: Wofür könnten die Gebühren sinnvoller eingesetzt werden?

Kalkofe: Die Aufgabe der Öffentlich-Rechtlichen ist nicht, uns allen zu gefallen, uns einzuschleimen, jedem buckelnd nach dem Mund zu reden und dafür zu sorgen, dass es bloß keine Kontroverse gibt. Sie müssten stattdessen großartiges Fernsehen machen, das uns anregt. Neue Akzente setzen, Sachen auszuprobieren und Trends schaffen und nicht denen der anderen hechelnd hinterher laufen. ARD und ZDF machen nur Formate und Genres der Privaten nach, wenn die bei denen schon lange tot sind. Jetzt, wo es keine Talkshows mehr gibt, bringt das ZDF Inka Bause als Nachmittagstalkshow, nach eigenen Angaben für das ‚interessierte Publikum über 66’. Wenn Quiz-Sendungen überall langsam vorbei sind, fangen sie wieder damit an. Sie greifen sich die Reste von RTL ab und holen die ins ZDF. Unglaublich! Keine Innovation. Seitdem die Privaten da sind, sind die Öffentlich-Rechtlichen in Schockstarre gefallen. Sie haben versucht, das „Alte Fernsehen“ von früher zu halten und wurden irgendwann vollkommen überrannt. Während ich RTL, ProSieben, Sat1 oder RTL II wegen ihrer zynischen Haltung gegenüber den Protagonisten und Zuschauern verachte und furchtbar finde, ist bei der ARD und dem ZDF diese unglaublich trutschige „Omihaftigkeit“, die mich nervt , bei der ich immer denke, sie packen mich gleich an der Wange, schwabbeln damit rum und sagen: Na, mein Kleiner? Es ist nicht das Alter der Zuschauer, es ist das Alter im Kopf der Verantwortlichen, die altbackene Attitüde der Programme und Moderatoren, die alles so scheintot und verstaubt erscheinen lassen.

FOCUS Online: Hat Ihnen RTL eigentlich schon mal eine Sendung angeboten?

Kalkofe: Nein. Es gab zwar zwei drei Mal Gespräche im Laufe der letzten zwanzig Jahre, in denen sie kamen und irgendetwas wollten. Aber dann merkten sie immer wieder kurz bevor es ernst wurde: Eigentlich hat es ja doch keinen Sinn, denn für ihre Programme bin ich nicht massenkompatibel genug. RTL will die große Masse und dafür machen sie auch alles, um diese zu erreichen. Ich bin im Moment – und das sage ich wirklich ehrlich – total glücklich bei Tele 5, weil ich dort einfach Sachen machen und endlich wieder kreativ sein darf.